Aus: Wundersame Geschichten für Individualisten, 1972
Irgendwo geht ein Mensch. Er dreht sich um und ruft in eine Menge:“Es geht nichts über viereckige Räder. Sie sind am besten!“ Plötzlich wird die Öffentlichkeit aufgescheucht. Einige aus der Menge, die den Ausruf vernommen haben, meinen: „Der spinnt! Völlig überzogene Werbe – Rhetorik“. Diese Leute drehen sich um und gehen weiter ihrer Beschäftigung nach, nachdem sie sich noch schnell mit dem Zeigefinger gegen die Stirn getippt haben.
Der weitaus größere Teil der Meute reagiert ganz anders, weil ihr die technische Begabung abgeht.
Man beschäftigt sich mit der Aussage: „Endlich mal einer, der das ausspricht, was viele denken!“ Es ist doch gut möglich. Vor einhundert Jahren hat auch niemand geglaubt, dass man mit einer Rakete zum Mond fliegen kann.
Was auch immer dazu gesagt werden mag – egal – die Diskussion ist angestoßen und nach einigen Tagen in vollem Gange, Daran haben die investigativ wirkenden Journalisten mitgewirkt. Das Presseorgan ist bekannt!
So ist es nicht verwunderlich, dass der Ausruf: „Es geht nichts über viereckige Räder, sie sind am besten“ eine permanente Diskussion bei der außerparlamentarischen LINKEN eröffnet. Im Bundestag erfolgt nach Anhörung des Fachausschusses der sogenannte „Hammelsprung“, der Papst erlässt ein Edikt, und die Textilindustrie (Pakistan) fertigt Hemden an, auf denen mittels Siebdruck das Symbol des viereckigen Rades prangt.
Die „Viereckige-Räder-Welle“ ist angelaufen, ein Boom bläht sich auf. Ein bekannter Motorradjournalist, offensichtlich ein Wahnsinniger, versucht allen Ernstes in einer Talkshow die Behauptung des Moderators zu widerlegen, der das Argument in die Debatte wirft: „Viereckige Räder führen zu einer Verbesserung der Straßenlage bei Personenkraftwagen und Krafträdern, was sich insbesondere beim Abbremsen aus voller Fahrt bemerkbar macht!“
Der ADAC beauftragt einen Motorradfahrer der ersten Generation, viereckige Reifen an seiner Hochgeschwindigkeits-Rennmaschine aus dem Jahr 1936 auszuprobieren. Inzwischen hat die Post eine Sondermarke herausgebracht.
Zwar sind die Testergebnisse noch nicht ausgewertet, da wird bereits allerorts gemunkelt, den Rennfahrer habe es bei 35 km/h von der Maschine geschüttelt.
Dieses Gerücht löst im Bundestag eine der heftigsten Nachkriegsdebatten aus. Es wird beschlossen, anstelle von geschwindigkeitsregulierenden Verkehrsschildern in geschlossenen Ortschaften, diese Räder zur Vorschrift zu bringen
Mit dem Einsparen von 50 Millionen DM wird gerechnet, weil künftig die entsprechenden Schilder wegfallen.
Verabschiedet wird:
„Die Verordnung zur Aufhebung der 25. Verordnung über die Durchführung der Verordnungsanordnungen zur Anwendung des Gesetzes über das Aufstellen von Geschwindigkeitsbegrenzungsschildern zur Regelung der entsprechenden höchst zulässigen Geschwindigkeiten für erdgebundene Personen- und Lastnutzfahrzeuge.
Von dieser Regelung sind ausgenommen: Krankenfahrstühle, Kettenfahrzeuge der Bundeswehr, Planierraupen und kettengetriebene Löffelbagger, soweit nicht nach § 55 im Sinne der §§ 66, 67 Absatz 1 anders bestimmt wird.“
Mittlerweile hat sich das Gerede um viereckige Räder wieder etwas beruhigt. Aktuell beschäftigt sich die Öffentlichkeit mit dem Problem des Einjustierens okulierter Gummibaumkulturen in öffentlichen Parkanlagen.