… Berlin hat offensichtlich verschiedene Menschen mit verschiedenen Weltanschauungen zusammengeführt. Eine der Gruppen fühlte sich von der Regierung gegängelt: Vorgeschriebene Schutzmaßnahmen wie etwa die Maskenpflicht und die Einhaltung von Mindestabständen gehen ihrer Meinung nach nicht mit einer freiheitlich – demokratischen Grundordnung einher. Verbot von Großveranstaltungen, betriebliche Einschränkungen pp.
Eine andere Gruppe leugnet die Gefährlichkeit des Corvid 19 Virus und sieht dahinter eine Maßnahme von „wie auch immer- Gewinnlern“, die sich entweder an fragwürdigen Medikamenten oder Implantaten eine goldene Nase verdienen wollen. Verschiedene Verschwörungstheorien kursieren in den sozialen Netzwerken dergestalt, das Virus sei zum Beispiel einer Laborzüchtung entwichen, die dazu angetan sei, die Wirtschaft eines ganzen Staates lahmzulegen. Nun hätte es die Entwickler des Plagegeistes selbst erwischt, nämlich bekannte Provinz in China. Andererseits käme das Virus von Fledermäusen, die dort als Delikatesse auf den Märkten feilgeboten werden.
Die dritte Gruppe, die inmitten der harmlosen Spinner agiert, sind jene Fahnenschwenker, welche sich Reichsbürger nennen oder sich den hardlinern der rechtsextremen Szene zugesellen, die am liebsten das „Dritte Reich“ vollenden möchten und jene als Galionsfiguren verehren, die dafür verantwortlich sind, dass das Staatsgebiet der BRD nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg dermaßen geschrumpft ist, dass „Not und Elend ins geliebte Vaterland einkehrten“, was deren Meinung nach wieder ins „rechte Lot“ gebracht werden müsse.
Ihnen sei empfohlen, sich in Geschichtsbüchern umzutun und parallel eine Weltkarte der entsprechenden Perioden kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Gruppen und Völkern vor sich auszubreiten. Verlorene Kriege gingen immer mit Gebietsverlusten der unterlegenen Parteien einher. Ostpreußen, Schlesien und das Sudetenland gingen deshalb für immer verloren. Daher: „Von der Etsch bis an den Belt“ – und von „über alles in der Welt“ sollte niemand mehr träumen.
Das ist nicht nur Unsinn, sondern gefährdet überdies eine gute Nachbarschaft zu Nationen, die den Deutschen weitestgehend verziehen haben in dem Wissen, dass die heutige Generation nicht unter dem „Führer“ gedient hat. Die Deutschen haben ihnen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 „übel mitgespielt“. So viele Tote soll es mit Corvid 19 nicht geben. Leider sind nicht alle Menschen vernünftig und kommen von selbst auf Vermeidungsstrategien. So müssen es Verordnungen und Anordnungen bewirken.
Jetzt geht in verschiedenen Gesellschaftskreisen das große Jammern los. Die Rede ist von bösen skrupellosen Demagogen oder Diktatoren, die den freien Bürgern die Freiheit nehmen und sie statt dessen per Gesetz bevormunden.
Im Verein mit den Verunsicherten marschieren die Reichsbürger mit ihren Reichskriegsflaggen. Sie vermissen eine Verfassung der BRD und Friedensverträge mit den einstigen Kriegsgegnern. Sie erkennen das Grundgesetz, das seinerzeit mit „heißer Nadel“ buchstäblich über Nacht gestrickt wurde, nicht als Verfassung an, obwohl der Inhalt mit den Siegermächten „ausgehandelt“wurde.
Was ich an den Reichsbürgern vermisse ist, dass sie einmal einen umfangreichen Entwurf vorlegen, der ihrer Auffassung nach anstelle des Grundgesetzes für Recht und Ordnung in der BRD sorgen sollte und die persönliche Freiheit und Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz garantiert. Frauen wieder vor den Herd? Wahlrecht nur für Männer? Welcher Gestalt sollte das Verhältnis zu den benachbarten Staaten sein? Rückschritt in die Weimarer Republik?
Sollte Wilhelm der Zweite wieder ausgegraben werden? Hindenburg? Friedrich Ebert? Oder sollte es eine Renaissance der Nationalsozialistischen Partei geben?
Mit Blick auf Goethes Faust rufe ich aus: „Heinrich, mich graust`s vor Dir!“
Prost! Austrinken!
Noch sind wir! Der alte Kunstmeister grüßt in die Runde!