Kultur: Hartmut T-Reliwette gibt sein Langzeit-Kunstobjekt in Idafehn-Nord nach 30 Jahren auf
„Wer da nochmal durchgehen will, der sollte sich beeilen“, rät der 74 Jahre alte Künstler.
(von Günter Radtke)
IDAFEHN — Letzte Einladung ins Idafehner Irrgartenlabyrinth: Das vor 30 Jahren vom Künstler Hartmut T. Reliwette in Idafehn—Nord auf einer Fläche von 2500 Quadratmetern angelegte Kunstwerk wird der Natur zurückgegeben. Die mannshohen Hecken aus stacheligen Berberitzen werden nicht mehr zurückgeschnitten. Das Langzeit—Kunstprojekt wird einschließlich Bühne, Rednerpult und Bestuhlung im Innersten der Anlage alsbald zuwuchern.
„Wer da nochmal durchgehen will, der sollte sich beeilen. Die Sträucher schlagen gerade aus. Die Wege werden schnell zuwachsen“, sagt Reliwette. Das Kunstwerk habe nach 30 Jahren seinen Zweck erfüllt, habe viel zum Thema Verfall beigetragen, meint der 75-Jährige, der einst viele Jahre in Essen lebte, ehe er erst schrittweise und Ende der 90er Jahre vollständig nach Idafehn übersiedelte. In Essen hatte der große Künstler Joseph Beuys zum Freundeskreis Reliwettes gezählt. Als Beuys 1986 gestorben, für ihn aber keine Grabstätte angelegt worden war, schufen Reliwette und Freunde ihm zu Ehren in Idafehn-Nord einen Gedächtnisgarten. Ein Labyrinth der toten Künstler und Dichter entstand, voller Skulpturen und Gänge, die jeweils nach einem Künstler benannt wurden.
„Die darin ausgestellten Ton-Skulpturen sind zum Teil von Besuchern zerstört worden. Deshalb musste ich sie letztlich alle rausnehmen“, ärgert sich der 75-Jährige im Nachhinein über jene Leute, aber auch über seine Gutgläubigkeit. „Heute sagt man zu Leuten wie mir damals Gutmenschen und meint damit Bescheuerte“, fügt er laut lachend hinzu.
Er bedauert, dass es ihm nie richtig gelungen ist, die Menschen aus Idafehn und Umgebung in Scharen für sein Gartenlabyrinth zu begeistern. „Ich habe hier meistens immer Leute von weit weg gehabt“, sagt er. Nur einmal sei es im Auditorium im Herzen des Labyrinths richtig voll gewesen — als nämlich Pastor Florian Bortfeldt seine Gemeinde zum Gottesdienst dorthin eingeladen hatte.
Dabei hatte vor Jahren die Reihe der Performances im Labyrinth spektakulär begonnen: Mit einem Polizeieinsatz, nachdem Reliwette angekündigt hatte, mit einem alten Vorderlader die Bildröhren zur Pyramide gestapelter ausgedienter Fernseher krachend zu zerschießen, um auf diese Weise künstlerisch auf das schlechte Fernsehprogramm hinzuweisen. Die Dorfpolizei kam, sah und ließ den Künstler gewähren.
Hartmut T. Reliwette, der in der Essener Kunstszene kein unbeschriebenes Blatt war, arbeitete in den 1980er Jahren in Gelsenkirchen im Strafvollzug, während er gleichzeitig malte, Skulpturen schuf, an bis zu drei Volkshochschulen gleichzeitig seine Kunst unterrichtete und in Idafehn auch noch das alte Fehnhaus restaurierte, in dem er sein eigenes Museum einrichtete. „Jeder große Künstler hat doch sein eigenes Museum. Ich deshalb also auch“, scherzt er heute, obwohl er spürt: „Es bleibt doch irgendwo in den Knochen hängen. Man ist eben nicht mehr 35.“ Das Übergeben des Gartenlabyrinths an die Natur sei ein schmerzhafter Einschnitt, ein Loslassen. „Es ist der Lebensabend. Darüber muss man aber nicht traurig sein“, sagt er.
Quelle: Generalanzeiger 22. März 2017